Ein von Geburt an blinder Mensch kann den fliegenden Ball „sehen“, ohne seine Augen zu benutzen

Ein von Geburt an blinder Mensch kann den fliegenden Ball „sehen“, ohne seine Augen zu benutzen

Produziert von: Science Popularization China

Produziert von: Zhang Shuyu

Hersteller: Computer Network Information Center, Chinesische Akademie der Wissenschaften

Können Sie noch sehen, nachdem Ihre Augen irreversibel geschädigt wurden?

Die Neurowissenschaft hat herausgefunden, dass das Gehirn über eine besondere Begabung verfügt, die es blinden Menschen ermöglicht, zu lernen, „Dinge zu sehen“, ohne sich auf ihre Augen zu verlassen.

Bildquelle: Veer Gallery

Auch ein von Geburt an blinder Mensch kann, wenn er in einem „Massagestuhl“ liegt, den fliegenden Ball „sehen“

Im Jahr 1969 veröffentlichte Nature einen Science-Fiction-Artikel, in dem detailliert ein sehr seltsames Instrument beschrieben wurde, das es blinden Menschen ermöglichen könnte, Dinge zu „sehen“, indem sie ihren Rücken „massieren“.

Lassen Sie uns das experimentelle Szenario wiederherstellen:

Ein Mann, der blind geboren wurde und keinerlei Seherfahrung hatte, liegt auf einem Zahnarztstuhl. Neben ihm war eine altmodische Videokamera mit Zoomobjektiv montiert.

Der Therapeut bewegt die Kamera mit einer Handkurbel und scannt so die Szene vor der blinden Person. Das erzeugte Bild wird an das Instrument hinter dem Patienten übertragen, das das verarbeitete visuelle Signal an die Stimulationspunktmatrix an der Rückseite des Behandlungsstuhls überträgt.

Insbesondere vibrieren die Matrixstimulationspunkte, die den Teilen der Szene mit schwachem Licht entsprechen, während die Teile mit starkem Licht nicht vibrieren. Diese Berührungspunkte stimulieren die Rückenhaut der blinden Person direkt, wie bei einem Massagestuhl.

Das von Bach-Rita erfundene „sehfördernde Zauberwerkzeug“. Die Position der Linse im Bild simuliert die Perspektive des menschlichen Auges, wodurch Blinde die vor ihnen liegenden Objekte wahrnehmen können (Bildquelle: Referenz 2)

Nach 20–40 Stunden intensiven Trainings geschah etwas Magisches – die Blinden konnten nicht nur verschiedene Linien wie vertikale Linien, schräge Linien und Kurven unterscheiden, sondern auch gängige geometrische Formen wie Kreise, Rechtecke und Dreiecke erkennen.

Nach dem Erlernen der Kamerabedienung kann der Blinde durch das Zoomobjektiv verschiedene Stellen im Raum anvisieren, um verschiedene Gegenstände wie Telefone, Stühle, Tassen etc. (auch wenn diese teilweise verdeckt sind) zu identifizieren und deren Positionsverhältnisse zu beschreiben.

Allmählich begannen sie, den dreidimensionalen Raum vor ihnen wahrzunehmen:

Die Entfernung eines Objekts kann dazu führen, dass sich die Größe des Bildes ändert.

Wenn Sie ein Objekt aus verschiedenen Perspektiven betrachten, wird seine Form verzerrt;

Die von hinten beleuchtete Seite eines Objekts wirft einen Schatten usw. Wenn jemand einen Ball in Richtung Kamera wirft, weicht die blinde Person natürlich aus.

Mithilfe dieses Geräts zum „taktilen Sehen“ haben blinde Menschen sogar gelernt, Gesichter (wie etwa die von Supermodels) zu erkennen.

Noch unglaublicher ist, dass sie auch Veränderungen im Aussehen und Verhalten der Figuren „beobachten“ können.

Sie beschreiben beispielsweise eine Frau: „Sie trägt heute ihre langen Haare offen und keine Brille. Sie bewegt ihre rechte Hand hinter ihrem Kopf.“

Das Vibrationsmuster der Stimulus-Punktmatrix projiziert ein zweidimensionales Bild auf das Überwachungsoszilloskop.

Das Bild zeigt ein menschliches Gesicht. Nach längerem Training können blinde Menschen lernen, taktile Muster ähnlicher Komplexität zu erkennen (Bildquelle: Referenz 2)

Warum kann das Gehirn durch Stimulation des Rückens „sehen“?

Paul Bach-y-Rita, der Hauptverantwortliche dieser Studie, hat detaillierte Beobachtungen und Studien an blinden Menschen durchgeführt, die einen Gehstock benutzen. Wenn ein Blinder geht, bewegt er seinen Stock hin und her. Die Spitze des Stabes informiert den Blinden über die Tastrezeptoren auf seiner Haut über die Straßenverhältnisse.

Bach-Rita war tief inspiriert: Der Stock kann als „Schnittstelle“ zwischen dem blinden Menschen und den Gegenständen betrachtet werden. Durch den Druck und die Berührung des Stocks auf der Hand können räumliche Informationen, wie beispielsweise die Raumaufteilung, entstehen.

Daher fungieren die Haut der Hand und ihre Tastrezeptoren als Informationssammelstation. Sie können als Ersatz für die Netzhaut dienen und die Bildbildung im Gehirn ermöglichen.

Der „Massagesessel“ ermöglicht Blinden ein ähnliches „Sehen“. Einfach ausgedrückt: Es ist das Gehirn, das sieht, nicht die Augen.

Bildquelle: Pixabay

Das anpassungsfähige Gehirn

Die Ergebnisse des prospektiven Experiments von Bach-Rita bestätigten die Theorie der „sensorischen Substitution“.

Konkret handelt es sich dabei um die wichtigen Nervenbahnen, die für die Sehfunktion verantwortlich sind. Sobald sie unterbrochen oder blockiert sind, macht das Gehirn einen Umweg.

Die Nervenbahnen, die den Tastsinn steuern, werden bei der visuellen Wahrnehmung selten genutzt, können nun aber als Ersatz dienen und beim „Sehen von Dingen“ eine Rolle spielen. Es scheint, dass das Gehirn auch versteht, dass „alle Wege nach Rom führen“.

Tatsächlich ist das Gehirn wie ein Decoder in einem dunklen Schädel. Wenn verschiedene sensorische Informationen aus der Außenwelt übertragen werden, seien es Photonen, Luftkompressionswellen, Molekülkonzentrationen, Druck, Texturen oder Temperaturen, werden sie im Gehirn einheitlich in eine gemeinsame Sprache umgewandelt: elektrochemische Signale.

Es sind die biochemischen Reaktionen in diesem dunklen Theater, die unsere gesamte Wahrnehmung der Realität prägen.

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Auch wenn die wahrgenommenen Signale aus ungewöhnlichen sensorischen Nervenbahnen stammen, wird das Gehirn der Herausforderung gerecht und organisiert die Sinneswahrnehmung neu, indem es ständig neue Signale lernt und versteht.

Dies ist Millionen von Jahren biologischer Evolution zu verdanken, die das Gehirn zu einem „Meister“ der Anpassungsfähigkeit gemacht haben. Die überragende Lernfähigkeit, die Verfall in Magie verwandeln kann, beruht auf der flexiblen Plastizität der Nerven des menschlichen Gehirns.

Bach-Rita ist eine Pionierin in der Anwendung der Plastizität von Gehirnneuronen in der Rehabilitationsmedizin.

Nach dem „Massagesessel“ sind auf der Welt einige modernere Designs aufgetaucht. Visuelle Informationen können beispielsweise durch die Abgabe von Tönen an die Ohren oder durch leichte Vibrationen zur Stimulation der Stirn oder Zunge an das Gehirn übermittelt werden. Sie können „sehen“, ohne Ihre Augen zu benutzen. Auf den ersten Blick klingt dies nach einer besonderen Fähigkeit. Aber wenn man darüber nachdenkt, ist dies auch das Ergebnis der normalen Funktionsweise des Gehirns.

Zufälligerweise ist das Hören nicht auf die Ohren angewiesen.

Alternative Wege, der Welt zuzuhören

Der Neurowissenschaftler David Eagleman und sein Team haben mit viel Sorgfalt ein Hörgerät für Hörgeschädigte entwickelt – den Variable Extra-Sensory Transducer (VEST, allgemein als „Weste“ bekannt).

Die „Weste“ verfügt über ein eigenes Mikrofon, das eine Echtzeit-Wahrnehmungskodierung externer Geräusche durchführen kann.

Die kodierten Informationen werden dann auf einige winzige Vibrationsmotoren auf der „Weste“ übertragen. Der Motor aktiviert ein dynamisches Vibrationsmuster basierend auf der Frequenz des Tons und überträgt es auf den gesamten Rumpf.

So funktioniert die Weste (Bildquelle: eagleman.com)

Die tragbare Technologie kann auch auf Mobilgeräten wie Telefonen und Tablets ausgeführt werden. Sobald das Gerät den Ton in der Umgebung erfasst, leitet es das Signal über Bluetooth an den Motor weiter.

Das Funktionsprinzip der „Weste“ unter den Bedingungen mobiler Geräte (oben); die Vorder- und Rückseite der „Weste“ (Mitte); Eagleman zeigt den Trageeffekt der „Weste“ (unten) (Bildquelle: Referenz 3)

Die Anpassung an die Vibrationssignale der „Weste“ ist wie das Erlernen einer neuen Sprache. Anfangs waren diese ausländischen Signale schwer zu erkennen. Doch nach ausreichendem Training vergleicht das Gehirn die verschiedenen Berührungen des Rückens und lernt nach und nach, Muster daraus zu extrahieren und die Sprache der „Weste“ in verständliche Informationen umzuwandeln. Beispielsweise kann das Gehirn ein Wort einem bestimmten Vibrationsmuster zuordnen.

Experimente zeigen, dass hörgeschädigte Menschen, die die „Weste“ zwei Stunden am Tag tragen, in weniger als einer Woche die von anderen gesprochenen Wörter richtig buchstabieren können.

Eagleman sagte, dass diese patentierte Technologie den Patienten nicht nur die invasiven Eingriffe einer Cochlea-Implantation ersparen, sondern ihnen auch die Möglichkeit geben könne, direkt zu hören. Dies ist vergleichbar damit, wie Blinde die Bedeutung der Brailleschrift durch Berühren verstehen.

Die Geschichte ist noch nicht zu Ende, die nachfolgenden Ingenieure haben sich eine weitere brillante Idee ausgedacht! Sie haben die Kerntechnologie der „Weste“ in einem kleinen Armband zusammengefasst und ihm einen anschaulichen Namen gegeben: „Buzz“, was so viel bedeutet wie „ein summendes Geräusch machen“.

Die Schnittstelle des Armbands ist mit einem Netzschalter, Benutzereinstellungstasten, einem Mikrofon und einem Mikrocontroller ausgestattet. (Bildquelle: Neosensory.com)

Obwohl das Armband klein ist, verfügt es über alle Funktionen. Es ist mit einem Mikrofon zur Erfassung von Umgebungsgeräuschen, 4 Vibrationsmotoren und einem ausgeklügelten Signalverarbeitungssystem ausgestattet. Wie eine Weste kann das System externe Signale durch einen Sound-to-Touch-Algorithmus kodieren und sie in dynamische Vibrationsmuster umwandeln, die vom Motor ausgegeben werden.

Die vom Mikrofon erfassten Tonsignale werden vom Mikrocontroller verarbeitet und in unterschiedliche Vibrationsmuster umgewandelt, die von den vier Motoren ausgegeben werden. Jeder Vibrationspunkt ist eine rechteckige Fläche von 8,2 mm x 8,5 mm (Bildquelle: Referenz 1).

Kann ein Armband mit nur vier Vibrationsstimulationspunkten genügend taktile Signale übertragen?

Das Forschungsteam beobachtete einen Monat lang 18 Patienten mit Taubheit und starkem Hörverlust. Im Alltag trugen die Patienten das Armband während dieser Zeit mindestens 4 Stunden am Tag. Ab dem ersten Tag, an dem die Patienten das Armband tragen, werden sie alle zwei Wochen einer Testrunde unterzogen.

Die Daten zeigten, dass die Patienten lernen konnten, zwischen den verschiedenen Vibrationsmustern zu unterscheiden, die durch die Audiowiedergabe der Wörter erzeugt wurden. Sie konnten auch Vibrationsmuster von ähnlichen, aber unterschiedlichen Wörtern erkennen.

Weitere Untersuchungen ergaben, dass Patienten auch lernen können, Geräusche im täglichen Leben zu erkennen. Ihre Lernmaterialien decken 14 Kategorien ab, darunter das Geräusch eines weinenden Babys, einer Autohupe, eines Weckers und Applaus.

Erfreulich ist, dass sich ihre Wiedererkennungsfähigkeit mit der Anzahl der Tragetage verbessert.

Bildquelle: Pixabay

Es zeigt sich, dass der Träger mit zunehmender Gewöhnung an die Funktionen des Armbands die akustische Welt um sich herum immer besser wahrnehmen kann.

Die schöne Geschichte geht weiter. Ich glaube, dass das Armband mehr hörgeschädigten Menschen Hoffnung geben kann.

Diese dem menschlichen Gehirn einzigartige Lernfähigkeit, die Verfall in Magie verwandeln kann, eröffnet der eingeschränkten Sinneswahrnehmung völlig neue Möglichkeiten.

Quellen:

1. Perrotta, MV, Asgeirsdottir, T., & Eagleman, DM. (2021). Entschlüsselung von Geräuschen durch Vibrationsmuster auf der Haut. Neurowissenschaften (4).

2. Bach-Y-Rita, P., Collins, CC, Saunders, FA, White, B., & Scadden, L. (1969). Sehsubstitution durch taktile Bildprojektion. Nature, 221, 963–964.

3. Novich, SD, & Eagleman, DM. (2014). Ein vibrotaktiles sensorisches Ersatzgerät für Gehörlose und Schwerhörige. IEEE Haptics Symposium 2014 (HAPTICS). IEEE.

4. Norman Deutsch, Gestalte dein Gehirn neu, gestalte dein Leben neu (2015), China Machine Press

5. Die Geschichte des Gehirns von David Eagleman (2019) Zhejiang Education Publishing House

6. Können wir neue Sinne für den Menschen schaffen? | TED

7. https://www.ted.com/talks/david_eagleman_can_we_create_new_senses_for_humans/transcript?lingual=zh-cn

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