30 Jahre widersprüchlicher Astrozytenforschung kommen endlich zu einem Ergebnis

30 Jahre widersprüchlicher Astrozytenforschung kommen endlich zu einem Ergebnis

Astrozyten sind ein wichtiger Bestandteil des Nervensystems. Sie spielen eine entscheidende Rolle bei der Aufrechterhaltung und dem Schutz neuronaler Netzwerke und haben komplexe und vielfältige Funktionen. Ob Astrozyten an der elektrischen Signalübertragung beteiligt sind, ist seit langem eine offene Frage und frühere In-vitro-Experimente haben zu widersprüchlichen Ergebnissen geführt. Eine kürzlich in Nature veröffentlichte Studie bestätigte erstmals die Existenz einer spezifischen Subpopulation von Astrozyten, die durch Exozytose Glutamat freisetzen und so an der elektrischen Signalübertragung des Nervensystems beteiligt sind.

Geschrieben von Veronica (Tsinghua University School of Medicine)

Das Nervensystem besteht hauptsächlich aus zwei Zelltypen: Neuronen und Neuroglia (oder Gliazellen, auch als Gliazellen bezeichnet). Lange Zeit glaubte man allgemein, dass die funktionellen Aktivitäten des Nervensystems hauptsächlich von Neuronen ausgeführt werden, während Gliazellen als „Hintergrundzellen“ betrachtet werden, die lediglich Hilfsfunktionen haben, wie etwa die Unterstützung, Ernährung und den Schutz der Neuronen. Mit der Vertiefung der einschlägigen Forschung wurde diese Ansicht jedoch nach und nach in Frage gestellt – die Rolle der Gliazellen geht weit darüber hinaus.

Im September 2023 bestätigte ein in der Fachzeitschrift Nature veröffentlichter Artikel erstmals, dass es eine spezifische Subpopulation von Astrozyten gibt, die durch Exozytose Glutamat freisetzen kann und so an der elektrischen Signalübertragung des Nervensystems beteiligt ist. Diese Entdeckung stellt herkömmliche Vorstellungen auf den Kopf, zeigt, dass Astrozyten eine wichtige physiologische Rolle im Nervensystem spielen, und eröffnet zudem neue Ideen für die Behandlung komplexer neurologischer Erkrankungen.

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Astrozyten: die zahlreichsten und funktionell komplexesten Gliazellen

Gliazellen wurden erstmals 1856 vom deutschen Pathologen Rudolf Virchow (1821–1902)[1] als Bindegewebe beschrieben, das Neuronen im Gehirn und Rückenmark miteinander verbindet. Das Wort „Glia“ stammt vom griechischen Wort für Klebstoff und spiegelt auch das anfängliche Verständnis der Wissenschaftler hinsichtlich der Funktion von Gliazellen wider: Sie „kleben“ Neuronen zusammen und verweben sie zu einem dichten neuronalen Netzwerk. Im menschlichen Zentralnervensystem ist die Anzahl der Gliazellen 10- bis 50-mal so hoch wie die der Neuronen und erreicht bis zu 1 bis 5 x 10^12 Zellen[2]. Ähnlich wie Neuronen weisen auch Gliazellen Ausstülpungen auf ihrer Oberfläche auf, allerdings gibt es keinen Unterschied zwischen Dendriten und Axonen. Sie können untereinander keine chemischen Synapsen bilden, sondern sind über Gap Junctions verbunden. Vergleicht man Neuronen und ihre Prozesse mit einem Wald, dann sind Gliazellen die Pilze im Wald, die sich um die Baumstämme wickeln und ein Netz daraus weben.

Tatsächlich handelt es sich bei Gliazellen nicht um einen einzigen Zelltyp, sondern sie umfassen mehrere Zelltypen. Zu den Gliazellen im zentralen Nervensystem zählen vor allem Astrozyten, Oligodendrozyten und Mikroglia; Im peripheren Nervensystem sind dies vor allem Schwann-Zellen und Satellitenzellen.

Abbildung 1. Fluoreszenzmikroskopische Abbildung des zentralen Nervensystems. Hier sind Neuronen (blau) von einer großen Anzahl Gliazellen umgeben, darunter Astrozyten (rot) und Oligodendrozyten (grün). | Bildquelle: Jonathan Cohen/NIH

Unser heutiger Protagonist sind Astrozyten. Astrozyten sind die zahlreichsten und funktionell komplexesten Gliazellen im zentralen Nervensystem. Sie sind ein unverzichtbarer Bestandteil zur Aufrechterhaltung der Homöostase des Nervensystems und können als die „Stars“ unter den Gliazellen bezeichnet werden.

Im Jahr 1871 erfand der italienische Neuroanatom und Pathologe Camillo Golgi (1843-1926), der Entdecker des berühmten Golgi-Apparats, die berühmte Chrom-Silbernitrat-Färbetechnik[3]. Er beobachtete die Morphologie von Astrozyten unter dem Mikroskop und unterteilte sie in zwei grundlegende Untertypen: protoplasmatische und faserige. Nach traditioneller Auffassung ist ersteres hauptsächlich in der grauen Substanz verteilt, mit kurzen und dicken Fortsätzen und zahlreichen Verzweigungen; Letztere ist hauptsächlich in der weißen Substanz verteilt und weist lange und gerade Fortsätze sowie weniger Verzweigungen auf. Allerdings unterschätzt diese Klassifizierungsmethode die Heterogenität der Astrozyten erheblich. Tatsächlich sind Astrozyten in verschiedenen Gehirnregionen und kortikalen Schichten sowohl auf transkriptioneller als auch auf funktioneller Ebene höchst heterogen. Allerdings besteht noch immer kein Konsens darüber, wie diese Heterogenität entsteht.

Astrozyten machen bei verschiedenen Arten etwa 20–50 % des zentralen Nervensystems aus[4]. Zahlreiche Astrozyten liegen eng neben Neuronen und sind miteinander verklebt. Ihre langen Fortsätze sind im Gehirn und Rückenmark zu einem Netzwerk verwoben und bilden ein Gerüst, das die Neuronen stützt. Die Enden der Astrozytenfortsätze schwellen an und bilden perivaskuläre Füße, die an der Bildung der Blut-Hirn-Schranke (BHS) beteiligt sind. Diese Vorsprünge umhüllen die Nervenenden der Neuronen und verhindern, dass sich verschiedene afferente Fasern gegenseitig stören. Zudem spielen sie eine Rolle bei der Isolierung verschiedener Bereiche innerhalb des zentralen Nervensystems.

Zusätzlich zu diesen grundlegenden Funktionen haben Wissenschaftler entdeckt, dass Astrozyten komplexere Funktionen haben. Beispielsweise können Astrozyten von Neuronen freigesetzte Neurotransmitter – Glutamat und γ-Aminobuttersäure (GABA) – aufnehmen und in Glutamin umwandeln. Diese Neurotransmitter können Rezeptoren auf der Oberfläche von Neuronen aktivieren, sie erregen und so die Übertragung elektrischer Signale zwischen benachbarten Neuronen ermöglichen. Glutamin kann keine Rezeptoren aktivieren und verhindert somit eine kontinuierliche Erregung der Neuronen. Es kann auch zum Recycling zurück in die Neuronen transportiert werden und stellt den Neuronen so Rohstoffe zur Synthese neuer Neurotransmitter zur Verfügung.

Das menschliche Gehirn macht etwa 2 % des gesamten Körpergewichts aus, verbraucht jedoch 20 % der Glukose des Körpers. Unter ihnen haben Neuronen den höchsten Energiebedarf und benötigen eine kontinuierliche Versorgung mit Glukose. Astrozyten können Glukose aus dem Blut aufnehmen und in Glykogen zur Speicherung oder in Laktose zur Energieversorgung aktiver Neuronen umwandeln. Dieser Stoffwechselprozess ist eng mit dem Antioxidantien-Austauschsystem zwischen Astrozyten und Neuronen verbunden, das dazu beiträgt, Schäden an Neuronen durch oxidativen Stress zu reduzieren. Darüber hinaus können Astrozyten eine Vielzahl neurotropher Faktoren produzieren, die eine wichtige Rolle für Wachstum, Entwicklung, Überleben und funktionelle Integrität von Neuronen spielen.

Während der Entwicklung spielen Astrozyten eine Rolle bei der Steuerung der neuronalen Migration und beim Beschneiden von Synapsen, wobei sie die Bildung und Funktion von Synapsen regulieren. Sie können auch als Antigen-präsentierende Zellen im zentralen Nervensystem fungieren, indem sie den T-Lymphozyten Antigene präsentieren und eine Immunantwort auslösen.

Im Gegensatz zu Neuronen haben Gliazellen die Fähigkeit, sich ihr Leben lang zu teilen und zu vermehren. Wenn Gehirn und Rückenmark geschädigt und degeneriert sind, sind sie hauptsächlich auf die Vermehrung von Astrozyten angewiesen, um Gewebedefekte zu füllen. Eine übermäßige Proliferation kann jedoch zur Bildung von Gliazelltumoren führen, die auch zum Brennpunkt epileptischer Anfälle werden können. Studien haben gezeigt, dass es möglich ist, Gliazellen in vitro zur Differenzierung in Neuronen zu veranlassen, was Hoffnung für die Behandlung einer Vielzahl neurodegenerativer Erkrankungen gibt[5]. Einige Wissenschaftler vertreten jedoch die gegenteilige Ansicht und glauben, dass die Transformation von Gliazellen in Neuronen noch nicht möglich sei. Mithilfe der Technologie zur Linienverfolgung bestätigten sie, dass sich Gliazellen nicht in Neuronen verwandelten, sondern dass einige endogene Neuronen falsch gekennzeichnet waren[6].

Abbildung 2. Fluoreszenzmikroskopische Abbildung von Astrozyten. | Bildnachweis: David Robertson, LCR / Science Photo Library

02

Die Debatte geht weiter: Können Astrozyten an der elektrischen Signalübertragung beteiligt sein?

Aus der obigen Einleitung können wir erkennen, dass die Erforschung der Funktion von Astrozyten eines der wichtigsten Zukunftsthemen ist und dass es noch viele Unbekannte gibt, die darauf warten, erforscht zu werden. Darunter ist eine Frage, die seit Jahrzehnten im Raum steht: ob Astrozyten an der Übertragung elektrischer Signale im Nervensystem beteiligt sind.

Die elektrische Signalleitung ist die Grundlage für die normale Funktion des Nervensystems und von entscheidender Bedeutung für die Aufrechterhaltung der Lebensaktivitäten, die Anpassung an Umweltveränderungen und die Verwirklichung der komplexen Funktionen von Organismen. Anomalien bei der elektrischen Signalleitung können zum Auftreten einer Vielzahl von Krankheiten führen, darunter neurodegenerative Erkrankungen, Epilepsie und Schmerzstörungen. Nach bisherigem wissenschaftlichen Verständnis sind Neuronen die einzigen Zellen im Nervensystem, die die Funktion haben, elektrische Signale weiterzuleiten. Einige Wissenschaftler glauben, dass Astrozyten an der Weiterleitung elektrischer Signale beteiligt sein könnten, es fehlen jedoch noch immer schlüssige Beweise.

Im Jahr 1990 stellte ein Forscherteam der Yale University School of Medicine in den USA fest[7], dass Glutamat unter In-vitro-Kulturbedingungen einen Anstieg des Gehalts an freien Calciumionen in hippocampalen Astrozyten bewirken kann. Die Studie bestätigte, dass Glutamatrezeptoren auch auf der Oberfläche von Astrozyten vorhanden sind, was darauf hindeutet, dass sie an der Übertragung neuronaler elektrischer Signale beteiligt sein könnten.

Im Jahr 1994 konstruierte ein Forscherteam des College of Zoology and Genetics der Iowa State University ein In-vitro-Kokultursystem aus Astrozyten und Neuronen[8] und stellte fest, dass nach der Zugabe von Bradykinin die Calciumionenkonzentration in Astrozyten anstieg und dadurch die Freisetzung von Glutamat induziert wurde. Das freigesetzte Glutamat bindet an Glutamatrezeptoren auf der Oberfläche von Neuronen und löst einen Anstieg der Calciumionenkonzentration in den Neuronen aus. In einem isolierten Neuronenkultursystem ohne Astrozyten führt die Zugabe von Bradykinin jedoch nicht zu Veränderungen der Calciumionenkonzentration in den Neuronen. Dies deutet darauf hin, dass Astrozyten unter In-vitro-Kulturbedingungen durch die Freisetzung von Glutamat elektrische Signale an Neuronen übertragen können.

Im Jahr 1997 stellte das Team um Andrea Volterra vom Institut für Pharmakologie der Universität Mailand in Italien fest, dass auch die umgekehrte Schlussfolgerung zutrifft[9], nämlich dass Astrozyten auf elektrische Signale von Neuronen reagieren können. Sie verwendeten Fluoreszenz-Konfokalmikroskopie, um Hirnschnitte von Ratten zu untersuchen und fanden heraus, dass die Stimulation neuronaler afferenter Fasern Schwankungen (Schwingungen) der Kalziumionenkonzentration in Astrozyten verursachen kann und dass die Frequenz der Schwankungen der Kalziumionenkonzentration mit dem Stimulationsmuster zusammenhängt, das die Nervenfasern empfangen.

Abbildung 3. Schematische Darstellung der „Dreifachsynapsen“-Theorie. Präsynaptisches Neuron: präsynaptisches Neuron; postsynaptisches Neuron: postsynaptisches Neuron; Astrozyt: Astrozyten; Ca2+: Calciumionenkonzentration; nt (Neurotransmitter): von Neuronen freigesetzte Neurotransmitter; gt (Gliotransmitter): von Gliazellen freigesetzte Neurotransmitter | Bildquelle: Referenz [10]

Die allgemeine Theorie besagt, dass der Signalübertragungsprozess zwischen Neuronen darin besteht, dass das präsynaptische Neuron Neurotransmitter freisetzt, die Rezeptoren auf der Oberfläche des postsynaptischen Neurons aktivieren, wodurch Schwankungen der intrazellulären Kalziumionenkonzentrationen verursacht werden und das postsynaptische Neuron erregt wird. Nachdem einige Wissenschaftler entdeckt hatten, dass Astrozyten an der elektrischen Signalübertragung beteiligt sein könnten, schlugen sie die Theorie der „dreigliedrigen Synapse“ vor [10]. Diese Theorie besagt, dass an der Integration und Weiterleitung elektrischer Signale an Synapsen nicht nur die präsynaptischen und postsynaptischen Enden beteiligt sind, sondern dass auch die benachbarten perisynaptischen Astrozyten an diesem Prozess beteiligt sind.

Zwischen 2000 und 2012 wurden auf diesem Gebiet mehr als 100 Artikel veröffentlicht, die die Beteiligung von Astrozyten an der Übertragung neuronaler elektrischer Signale durch Synapsen unterstützen. Es gibt jedoch auch abweichende Stimmen, die die Rationalität der Datenerhebung und -interpretation in Frage stellen. Die gegenteilige Ansicht besteht darin, dass die meisten Experimente an in vitro kultivierten Astrozyten durchgeführt wurden, was nicht beweisen kann, dass der Prozess der Freisetzung von Neurotransmittern durch Astrozyten (Gliotransmission) tatsächlich in vivo stattfindet.

Der stärkste In-vivo-Beweis stammt aus einem transgenen Mausmodell, bei dem die Vesikelfreisetzung aus Astrozyten gehemmt wird. Im Jahr 2014 stellten einige Forscher jedoch fest, dass dieses in der Astrozytenforschung weit verbreitete Mausmodell Defekte aufweist[11], was Zweifel an der Zuverlässigkeit der gesamten Forschung mit diesem Mausmodell aufkommen lässt. In diesem Mausmodell nutzten die Forscher den Promotor des sauren Gliafaserproteins (GFAP), um Schlüsselproteine ​​(SNARE) im Vesikeltransport- und -freisetzungsprozess auszuschalten und so die Transmitterfreisetzung zu hemmen. Frühere Studien gingen davon aus, dass GFAP nur spezifisch in Astrozyten exprimiert wird, später wurde jedoch entdeckt, dass auch einige Neuronen GFAP exprimieren können. Daher weist dieses Mausmodell einen „Off-Target-Effekt“ auf. Die nach dem Ausschalten von SNARE beobachteten biologischen Effekte können nicht beweisen, dass der Transmitterfreisetzungsprozess von Astrozyten in vivo existiert und physiologische Funktionen hat, da dieser Effekt mit der Hemmung der Transmitterfreisetzung aus einigen Neuronen zusammenhängen könnte.

Wie oben zur Funktion der Astrozyten erwähnt, sind sich die meisten Wissenschaftler einig, dass Astrozyten das von Neuronen freigesetzte Glutamat absorbieren und dadurch die anhaltende Wirkung von Neurotransmittern auf Neuronen eliminieren können. Es bedarf jedoch noch direkterer Beweise, um zu bestätigen, ob Astrozyten durch die Freisetzung von Glutamat an der Übertragung neuronaler elektrischer Signale beteiligt sein können.

03

Die neueste Studie von Nature beweist, dass Astrozyten an der Weiterleitung neuronaler elektrischer Signale beteiligt sind

Seit der Entdeckung im Jahr 1997, dass Neuronen elektrische Signale an Astrozyten übertragen können, widmet sich das Team von Andrea Volterra der Erforschung der Signalübertragung zwischen Astrozyten und Neuronen und hat auf diesem Gebiet herausragende Beiträge geleistet. Im September 2023 veröffentlichte das Magazin Nature eine Forschungsarbeit von Volterras Team [12] mit dem Titel „Spezialisierte Astrozyten vermitteln glutamaterge Gliotransmission im ZNS“, die starke Beweise für die Beteiligung von Astrozyten an der Weiterleitung neuronaler elektrischer Signale lieferte.

Abbildung 4. Die neueste Forschungsarbeit des Volterra-Teams. | Bildquelle: Referenz [12]

Durch die Integration und Analyse von acht Open-Source-RNA-Sequenzierungsdaten einzelner Zellen aus dem Hippocampus von Mäusen und Patch-Clamp-Sequenzierungsdaten einzelner Zellen aus dem Hippocampus von Mäusen (Patch-Seq, eine Technologie zur multimodalen Charakterisierung einzelner Neuronen hinsichtlich Elektrophysiologie, Morphologie und Transkriptomik) unterteilten die Forscher die Astrozyten des Hippocampus von Mäusen in neun Subpopulationen mit unterschiedlichen molekularen Eigenschaften. Dabei stellten sie fest, dass nur eine dieser Subpopulationen selektiv Gene exprimierte, die mit der Exozytose (dem Prozess, bei dem intrazelluläre Vesikel mit der Zellmembran verschmelzen, um die Substanzen in den Vesikeln nach außen zu transportieren, was ein wichtiger Mechanismus für die Freisetzung von Neurotransmittern ist), der durch Calciumionen regulierten Exozytose, der Regulierung der Neurotransmittersekretion und der Regulierung der Glutamatsekretion in Zusammenhang stehen. Dies bedeutet, dass diese Subpopulation von Astrozyten theoretisch an der elektrischen Signaltransduktion teilnehmen kann. Allerdings ist diese Astrozyten-Subpopulation bei Mäusen ungleichmäßig über die Gehirnregionen und sogar innerhalb bestimmter neuronaler Schaltkreise verteilt.

Um zu überprüfen, ob diese Subpopulation von Astrozyten im menschlichen Gehirn existiert, suchten die Forscher nach den spezifischen molekularen Markern, die sie in drei Open-Source-Daten zur Sequenzierung einzelner Transkriptomzellen des menschlichen Hippocampus entdeckt hatten. Die Ergebnisse bestätigten, dass auch im menschlichen Hippocampus eine Subpopulation von Astrozyten existiert, die Glutamat freisetzen können.

Abbildung 5. Schematische Darstellung des In-vitro-Experiments. Sechs bis acht Wochen nach der Injektion des viralen Vektors in Gehirnschnitte von Mäusen verwendeten die Forscher Zwei-Photonen-Konfokalmikroskopie, um Astrozyten abzubilden. | Bildquelle: Referenz [12]

Die Ergebnisse der Transkriptomsequenzierung einzelner Zellen sind bemerkenswert, stellen jedoch immer noch nur indirekte Beweise dar. Um direkt zu bestätigen, dass bestimmte Astrozyten Glutamat freisetzen können, verwendete Volterras Team die Zwei-Photonen-Konfokalmikroskopie, um die Transmitterfreisetzung in der dorsalen Molekülschicht des Gyrus dentatus im Gehirn von Mäusen zu beobachten, einem Bereich, der vermutlich reich an Glutamat-sezernierenden Astrozyten ist. Die Forscher verwendeten zur Bildgebung selektiv in Maus-Astrozyten exprimierte Glutamatrezeptoren und fügten dem Versuchssystem Blocker zur synaptischen Freisetzung hinzu, um Störungen durch die Freisetzung neuronaler Transmitter zu vermeiden. Um den von der Calciumionenkonzentration abhängigen und durch G-Protein-gekoppelte Rezeptoren (GPCRs) vermittelten Prozess der Freisetzung des Glutamattransmitters in vivo zu simulieren, exprimierte das Forschungsteam in den Astrozyten von Versuchsmäusen durch Clozapin-N-Oxid (CNO) aktivierte GPCR-Rezeptoren. Nachdem sie CNO lokal zu Gehirnschnitten von Mäusen hinzugefügt hatten, beobachteten sie die Freisetzung von Glutamattransmittern in einem Teil der Astrozyten und stellten fest, dass diese Astrozyten in einem bestimmten Bereich konzentriert waren, der als „Hotspot“ der Glutamatfreisetzung bezeichnet wird. Durch die Injektion viraler Vektoren in Gehirnschnitte von Mäusen schalteten die Forscher gezielt den vesikulären Glutamattransporter 1 (VGLUT1) in Mausastrozyten aus. Das Experiment ergab, dass nach dem Ausschalten von VGLUT1 keine CNO-induzierte Freisetzung von Glutamattransmittern im „Hotspot“-Bereich beobachtet werden konnte, was beweist, dass die Transmitterfreisetzung in Astrozyten durch Exozytose vermittelt wird.

Abbildung 6. Schematische Darstellung des In-vivo-Experiments. Zwei-Photonen: Zwei-Photonen-Konfokalmikroskop; Kopfstange: eine Stange, die zum Fixieren des Kopfes der Maus verwendet wird; Schädelfenster: Schädelfenster zur Injektion von Medikamenten; Medikament: experimentelles Medikament. | Bildquelle: Referenz [12]

Die obigen Experimente wurden in vitro durchgeführt. Um zu bestätigen, dass der Freisetzungsprozess von Neurotransmittern in Astrozyten in vivo stattfinden kann, öffneten die Forscher den Mäuseschädel und beobachteten mit einem Zwei-Photonen-Konfokalmikroskop die Freisetzung von Glutamat im primären visuellen Kortex wacher Mäuse. Ohne medikamentöse Stimulation zeichneten sie Signale der Glutamatfreisetzung in endogenen Astrozyten auf. Dies deutet darauf hin, dass Astrozyten unter natürlichen Bedingungen in der Lage sind, Schwankungen der Glutamatkonzentration im extrazellulären Raum wahrzunehmen. Unter der Stimulation von CNO nahm die Häufigkeit der Glutamatfreisetzung aus Astrozyten signifikant zu.

Darüber hinaus führten die Forscher funktionelle Experimente durch, um nachzuweisen, dass die VGLUT1-abhängige Astrozyten-Transmitter-Freisetzung eine schützende Wirkung gegen akute epileptische Anfälle hat; und dass der VGLUT2-abhängige Astrozyten-Signalweg die Funktion hat, den Substantia nigra-Striatum-Kreislauf zu regulieren und ein potenzielles therapeutisches Ziel für die Parkinson-Krankheit ist.

Das Volterra-Team verwendete Einzelzellsequenzierungstechnologie, um die molekularen Eigenschaften von Astrozyten zu identifizieren, die Glutamat freisetzen können, beobachtete den Prozess der Freisetzung von Astrozyten-Transmittern direkt durch In-vivo- und In-vitro-Experimente und verwendete funktionelle Experimente, um die potenzielle Schutzfunktion der Freisetzung von Astrozyten-Transmittern bei neurologischen Erkrankungen nachzuweisen. Auf dem Gebiet der elektrischen Leitungsfunktion von Astrozyten liegen nun endlich endgültige Erkenntnisse vor. Gleichzeitig liefern die Ergebnisse auch eine Erklärung für die widersprüchlichen Forschungsergebnisse der letzten drei Jahrzehnte. Da nur eine bestimmte Subpopulation von Astrozyten Glutamat freisetzen kann, hängen die aus früheren Studien gezogenen Schlussfolgerungen eng mit der Probenahme von Astrozyten zusammen: Wenn die von den Forschern verwendeten Astrozyten nicht dieser spezifischen Subpopulation angehören, kann keine Glutamatfreisetzung beobachtet werden.

Abbildung 7. Ein aktuelles Foto von Volterra. Es ist 25 Jahre her, seit Volterra erstmals entdeckte, dass im Reagenzglas gezüchtete Astrozyten auf elektrische Signale von Neuronen reagieren können. Dieses Mal brachte er neue und wichtige Beweise mit. | Bildquelle: Andrea Voltera

In einem Interview sagte Volterra: „Wir hatten Recht, dass es Astrozyten gibt, die Glutamat freisetzen. Aber wir lagen auch falsch, weil wir dachten, dass alle Astrozyten Glutamat freisetzen.“ [13] Dimitri Rusakov, Professor für Neurowissenschaften am University College London, kommentierte: "Diese Erkenntnisse stellen mit ziemlicher Sicherheit das derzeitige Verständnis davon, wie die Signalübertragung im Gehirn funktioniert, auf den Kopf, aber wie genau sie es auf den Kopf stellen, bleibt eine offene Frage."

04

Gute Recherche führt zu weiteren Fragen

Der Nachweis, dass Astrozyten Glutamattransmitter freisetzen können, ist nur der erste Schritt. Es warten noch viele Fragen auf unsere zukünftige Beantwortung. Welche Auswirkungen haben von Astrozyten freigesetzte Glutamattransmitter auf neuronale Synapsen? Welche Gehirnfunktionen erfordern die Beteiligung von Astrozyten? Warum sind nur bestimmte Bereiche des Gehirns reich an glutamatergen Astrozyten?

Natürlich sind mit der Beantwortung dieser Fragen auch einige technische Probleme verbunden, beispielsweise die Frage, wie man Astrozyten besser kennzeichnen kann. Ein idealer Astrozytenmarker (Molekül) sollte stabil sein, diesen Zelltyp spezifisch markieren und in jeder Zelle in ähnlichem Maße exprimiert werden. Alle vorhandenen Marker haben ihre eigenen Mängel. Beispielsweise variiert das Expressionsniveau von GFAP (einem Protein, das am Aufbau des Zytoskeletts beteiligt ist) stark zwischen verschiedenen Zellen und ändert sich bei Erkrankungen oder Verletzungen dramatisch. Der Expressionsgrad von ALDH1L1 (einem Stoffwechselenzym) ist relativ stabil, aber sehr niedrig, sodass es durch Immunfluoreszenz/Immunhistochemie schwer nachweisbar ist. Dieses Protein wird auch in Leberzellen in hohem Maße exprimiert. Das Fehlen perfekter zellspezifischer Marker stellt ein großes Hindernis für die Erforschung von Astrozyten dar.

Eine herausragende wissenschaftliche Forschung wird nicht nur Fragen beantworten, sondern auch unzählige neue Fragen aufwerfen. Die enorme Zahl der Astrozyten bietet unendliche Möglichkeiten und zieht zahlreiche Wissenschaftler an, sich diesem Thema zu widmen. Rusakov drückt es so aus: „Wir haben eine riesige Menge an Beweisen zusammengetragen und jetzt brauchen wir eine Theorie, die all das zusammenfügt.“

Verweise

[1] Virchow, R. (1856). Gesammelte Abhandlungen zur wissenschaftlichen Medizin. Meidinger Sohn & Co.

[2] Wu Jiang et al. Neurologie, People’s Medical Publishing House, 3. Auflage, Juni 2015

[3] Golgi, C. (1871). Beitrag bis zum Schluss Anatomia Degli Organi Centrali del Sistema Nervosos. Tipi Fava und Garagnani.

[4] Hasel, P. (2021). Astrozyten. Aktuelle Biologie, 31(7):R326-R327.

[5] Wu, Z. (2020). Gentherapeutische Umwandlung striataler Astrozyten in GABAerge Neuronen in Mausmodellen der Huntington-Krankheit. Nature Communications, 27;11(1):1105.

[6] Wang, LL. (2021). Neubetrachtung der Umwandlung von Astrozyten in Neuronen durch Abstammungsverfolgung in vivo. Cell, 184(21):5465-5481.e16.

[7] Cornell-Bell, AH. (1990). Glutamat induziert Kalziumwellen in kultivierten Astrozyten: Gliasignalisierung mit großer Reichweite. Science, 247(4941):470-3.

[8] Parpura, V. (1994). Glutamat-vermittelte Astrozyten-Neuronen-Signalisierung. Nature, 369, 744–747.

[9] Pasti, L. (1997). Intrazelluläre Kalziumoszillationen in Astrozyten: eine hochplastische, bidirektionale Form der Kommunikation zwischen Neuronen und Astrozyten in situ. Journal of Neuroscience, 17(20):7817-30.

[10] Perea, G. (2009). Dreigliedrige Synapsen: Astrozyten verarbeiten und steuern synaptische Informationen. Trends in Neuroscience, 32(8):421-31.

[11] Sloan, SA. (2014). Der Schein kann trügen: Überprüfung der Beweise für die Gliotransmission. Neuron, 17;84(6):1112-5.

[12] de Ceglia, R. (2023). Spezialisierte Astrozyten vermitteln die glutamaterge Gliotransmission im ZNS. Nature, 622(7981), 120-129.

[13] https://www.quantamagazine.org/these-cells-spark-electricity-in-the-brain-theyre-not-neurons-20231018/

Dieser Artikel wird vom Science Popularization China Starry Sky Project unterstützt

Produziert von: Chinesische Vereinigung für Wissenschaft und Technologie, Abteilung für Wissenschaftspopularisierung

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