Bis vor 3.000 Jahren war das menschliche Gehirn in einem „gespaltenen“ Zustand?

Bis vor 3.000 Jahren war das menschliche Gehirn in einem „gespaltenen“ Zustand?

Leviathan Press:

Die im Artikel erwähnte „Zwei-Geist-Hypothese“ ist sehr interessant. Laut Julian Jaynes befand sich das menschliche Gehirn bis vor 3.000 Jahren in diesem gespaltenen Zustand. Sie erleben die Außenwelt weniger dadurch, dass sie in neuen oder unerwarteten Situationen bewusst Einschätzungen vornehmen können, sondern sie haben eher akustische Halluzinationen oder bilden sich ein, dass „Gott“ ihnen Ratschläge oder Befehle gibt, denen sie dann bedingungslos Folge leisten.

Mit anderen Worten: Sie sind sich ihrer eigenen Denkprozesse nicht einmal bewusst. Jaynes‘ Hypothese bietet eine mögliche Erklärung für die „Befehlshalluzinationen“, die bei Patienten häufig die Hauptsymptome der Schizophrenie auslösen. Nach der Analyse der Ilias und des Alten Testaments ist Jaynes davon überzeugt, dass darin kein kognitiver Prozess (wie etwa Introspektion) erwähnt wird und dass es keine offensichtlichen Anzeichen dafür gibt, dass der Autor sich seiner selbst bewusst ist. Dies führte ihn zu dem Schluss, dass der Geisteszustand der frühen Menschen sich stark von dem unseren unterschied.

Er wies auch darauf hin, dass Schizophrenie, wie sie in der modernen Psychopathologie erwähnt wird, ein Überbleibsel des frühen dualistischen Geistes der Menschheit sei (natürlich wurde er auch in diesem Punkt stark kritisiert).

Kurzes Quiz: Sind Sie rechts- oder linkshirnig? Diese Frage können Sie wahrscheinlich ziemlich schnell beantworten. Wenn Sie ein kreativer und intuitiver Mensch sind, der Freude an Musik, Bildern und anderen Formen der Kunst hat, dann sind Sie rechtshirnig. Wenn Sie hingegen eher analytisch und logisch denken und Freude an Mathematik und Mustererkennung haben, dann sind Sie linkshirnig. Wenn Sie nicht wissen, zu welcher Gruppe Sie gehören, gibt es zahllose Online-Tests, die Ihnen dabei helfen, Ihre angeborenen kognitiven Stärken zu erkennen, zu stärken und zu maximieren.

Tatsächlich hat die Links-Rechts-Gehirn-Theorie alle möglichen Branchen durchdrungen – insbesondere die Wirtschaft, wo viele Unternehmen rechtshirnige Mitarbeiter für kreativere Aufgaben und linkshirnige Mitarbeiter für Führungspositionen einstellen. Angesichts ihrer weitverbreiteten Akzeptanz und Anwendung muss diese Theorie doch auf den neuesten Erkenntnissen der Neurowissenschaft basieren, oder? Leider ist diese Ansicht nicht korrekt. Wie die Vorstellung, dass wir nur 10 % unseres Gehirns nutzen, ist auch die Links-/Rechtshirntheorie ein hartnäckiger Mythos der Pop-Psychologie – und wie bei vielen Persönlichkeitstests (einschließlich des berühmten Myers-Briggs-Tests) ist ihre Vorhersagekraft etwa so gut wie die der Astrologie. Doch wie viele moderne wissenschaftliche Mythen basiert auch die Dichotomie der linken und rechten Gehirnhälfte auf einem wahren Kern. Tatsächlich sind einige Gehirnfunktionen in verschiedenen Hemisphären konzentriert, doch diese Lateralisierung (das Phänomen der Verteilung von Funktionen auf die Hemisphären) ist viel komplexer als das einfache Modell der Populärpsychologie. Wie viel von diesem modernen Mythos ist also wahr und wie viel ist reine Erfindung?

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Von außen betrachtet scheint das Gehirn vollkommen symmetrisch zu sein. Unten befindet sich das Hinterhirn, das aus zwei Strukturen besteht: dem Hirnstamm, der autonome Funktionen wie Atmung und Verdauung steuert, und dem limbischen System, das komplexere und grundlegendere Funktionen wie Gedächtnisverarbeitung, Emotionen und Motivation steuert. Unterhalb des Hinterhirns befindet sich das Kleinhirn, das für die sensorische Verarbeitung und die motorische Koordination verantwortlich ist. und es wird vom Vorderhirn umgeben, das für kognitive Funktionen höherer Ebene verantwortlich ist. Das Großhirn ist entlang der Mittellinie in zwei Hemisphären unterteilt, und jede Hemisphäre ist weiter in vier Lappen unterteilt: Frontal-, Parietal-, Temporal- und Okzipitallappen.

Das Kleinhirn ist ebenfalls in zwei symmetrische Hemisphären unterteilt, und die Großhirnhemisphären sind durch ein Bündel von Nervenfasern, das Corpus callosum genannt wird, miteinander verbunden. Doch schon in den 1860er Jahren deuteten erste Belege darauf hin, dass das Gehirn nicht so symmetrisch ist, wie es scheint. Im Jahr 1861 traf der französische Arzt und Anatom Paul Broca auf zwei Patienten mit erheblichen Sprachstörungen. Der erste Patient, Louis Victor Leborgne, hatte die Fähigkeit zu sprechen fast vollständig verloren und brachte nur ein einziges Wort hervor: „temps“ [ausgesprochen „tan“ oder „tahn“] – französisch für „Zeit“. Seltsamerweise waren seine anderen kognitiven Fähigkeiten – einschließlich der Fähigkeit zu lesen, zu schreiben und gesprochene Sprache zu verstehen – nicht beeinträchtigt.

Leborgnes Gehirn, von Broca im Dupuytren-Museum in Paris hinterlegt. © Neurowissenschaften und Geschichte

Der zweite Patient, Lazare Lelong, hatte eine ähnliche Störung und konnte nur fünf Wörter sagen: „ja“, „nein“, „drei“, „immer“ und „lelo“ – eine falsche Aussprache seines eigenen Nachnamens. Nachdem die beiden Patienten gestorben waren, führte Broca Autopsien ihrer Gehirne durch und stellte fest, dass beide an Neurosyphilis gelitten hatten, die bei ihnen denselben Bereich des Gehirns geschädigt hatte: den dritten Gyrus im linken Frontallappen.

Diese Erkenntnisse führten dazu, dass Broca 1865 eine wegweisende Arbeit mit dem Titel „Lokalisierung der Sprache in der dritten linken Frontalkultivierung“[1] veröffentlichte, in der er die Hypothese aufstellte, dass die Sprachproduktion in dieser Region konzentriert sei, die heute als Broca-Areal bekannt ist. Ein Jahrzehnt später, im Jahr 1874, beschrieb der deutsche Arzt und Anatom Karl Wernicke eine ähnliche, aber andere Form der Aphasie, bei der die Patienten zwar fließend sprechen konnten, aber Sätze produzierten, die unsinnig waren und denen es an Struktur oder Bedeutung mangelte – was heute als „Wortsalat“ bekannt ist. Interessanterweise behalten die Sätze den Rhythmus und die Syntax normaler Sprache bei, und die Patienten sind sich jeglicher Störung in ihrer Sprache überhaupt nicht bewusst. Auch ihre Fähigkeit, Sprache sowohl gesprochen als auch geschrieben zu verstehen, ist normalerweise beeinträchtigt.

Wie Broca entdeckte Wernicke, dass die Schäden durch Läsionen in einem bestimmten Bereich des Gehirns verursacht wurden: einer Region im linken hinteren Frontallappen, die heute als Wernicke-Areal bekannt ist. Diese Beobachtungen führten Wernicke dazu, die Aphasie in zwei Grundtypen zu unterteilen: Broca- oder motorische Aphasie und Wernicke- rezeptive Aphasie . Die Erkenntnisse von Broca und Wernicke führten Psychologen zu dem Schluss, dass die Sprachproduktion und das Sprachverständnis vollständig in der linken Gehirnhälfte konzentriert sind. Das Ausmaß der Lateralisierung des Gehirns begann man jedoch erst in den 1960er Jahren wirklich zu verstehen.

In den frühen 1960er Jahren begannen Neurochirurgen mit der Durchführung radikal neuer Operationen, um Menschen mit schwerer Epilepsie zu helfen. Bei diesem chirurgischen Eingriff, der Corpus Callosotomie genannt wird, werden die Nervenfasern im Corpus Callosum durchtrennt, um die Übertragung epileptischer Signale von einer Hemisphäre zur anderen zu verhindern. Zunächst ging man davon aus, dass die Operation keine Nebenwirkungen haben würde, doch im Laufe der Zeit wurde das Verhalten der Patienten immer merkwürdiger. Sie beginnen, bei der Ausführung alltäglicher Aufgaben bevorzugt die rechte Seite ihres Körpers zu verwenden und scheinen jegliche Stimulation auf der linken Seite überhaupt nicht wahrzunehmen. Wenn beispielsweise etwas ihren linken Arm berührt, bemerken sie es nicht. Wenn man ihnen einen Gegenstand in die linke Hand legt, leugnen sie dessen Existenz.

Roger Sperry (1913-1994). © Päpstliche Akademie der Wissenschaften

Fasziniert von diesem seltsamen Verhalten begannen der Caltech-Neurophysiologe Roger Sperry und sein Doktorand Michael Gazzaniga 1962 eine Reihe bahnbrechender Experimente, um herauszufinden, was im Gehirn dieser Split-Brain-Patienten vor sich ging. Ihre Entdeckungen revolutionierten unser Verständnis des menschlichen Gehirns. Obwohl man zuvor davon ausgegangen war, dass das Corpus callosum eine untergeordnete Struktur sei – der Psychologe Karl Lashley spekulierte sogar, dass seine Funktion kaum mehr sei, als „das Erschlaffen der Hemisphären zu verhindern“ –, entdeckten Sperry und Gazzaniga bald die wichtige Rolle, die es für die Gehirnfunktion spielt. Aufgrund einer Eigenart der Wirbeltierentwicklung werden unsere Nervensysteme kreuzgesteuert, was bedeutet, dass jede Hemisphäre Informationen hauptsächlich von der gegenüberliegenden Körperseite erhält.

Beispielsweise leiten die Sehnerven visuelle Informationen von den Augen zu unseren Okzipitallappen, und diese Nerven kreuzen sich an der Sehnervenkreuzung, was bedeutet, dass Informationen vom rechten Auge zur linken Hemisphäre gelangen und umgekehrt. Ebenso steuert jede Hemisphäre die gegenüberliegende Körperseite, sodass beispielsweise ein Schlaganfall in der linken Hemisphäre zu einer Lähmung der rechten Körperseite führen kann und umgekehrt. Normalerweise funktioniert diese scheinbar kontraintuitive Anordnung gut, da Informationen sofort durch das Corpus callosum an die richtige Hemisphäre übertragen werden. Bei Split-Brain-Patienten existiert dieser Kommunikationskanal jedoch nicht mehr, was bedeutet, dass an eine bestimmte Hemisphäre gesendete Informationen in dieser Hemisphäre verbleiben.

Ab da fingen die Dinge an, seltsam zu werden. Sperry und Gazzaniga untersuchten die Hemisphärenfunktion der Patienten separat, indem sie die gegenüberliegende Körperseite stimulierten – zum Beispiel stimulierten sie die linke Hemisphäre, indem sie dem rechten Auge ein Bild präsentierten. In einem frühen Experiment[2] ließen sie eine Reihe von Lichtern in das Sichtfeld eines Patienten aufblitzen. Als der Patient gefragt wurde, wann er die Lichter gesehen habe, berichtete er nur von den Lichtern auf der rechten Seite. Als sie jedoch gebeten wurden, mit ihren Händen auf Lichter hinzuweisen, wenn sie welche sahen, meldeten sie erfolgreich, dass es auf beiden Seiten Lichter gab.

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Als nächstes projizierten Sperry und Gazzaniga das Wort „HEART“, sodass die Buchstaben „HE“ im linken Sichtfeld des Patienten und die Buchstaben „ART“ im rechten Sichtfeld erschienen. Als die Patienten gebeten wurden zu berichten, was sie gesehen hatten, antworteten sie verbal „ART“; aber als sie gebeten wurden, mit der linken Hand auf das Wort zu zeigen, das sie sahen, zeigten sie auf „ER“. Ähnlich verhält es sich, wenn man dem Patienten einen Gegenstand in die rechte Hand legt. Er kann ihn zwar problemlos benennen, wenn man ihn jedoch bittet, mit der rechten Hand auf ein Bild desselben Gegenstands zu zeigen, ist er dazu nicht in der Lage.

Bei umgekehrter Seitenlage können die Patienten zwar problemlos auf Gegenstände zeigen, sind aber zu ihrer Verwirrung nicht in der Lage, diese zu benennen. Diese Experimente bestätigten, dass die Fähigkeiten zur Sprachverarbeitung fast ausschließlich auf die linke Hemisphäre beschränkt sind, während die rechte Hemisphäre auf Aufgaben der visuellen Wahrnehmung spezialisiert ist, etwa das Erkennen von Gesichtern und Emotionen sowie das Erkennen von Unterschieden zwischen Objekten. Diese Unterschiede sind schon rätselhaft genug, doch noch bizarrer sind die Erfahrungen von Patienten, die in einem „Split-Brain“-Zustand leben, in dem sie das Gefühl haben, über zwei getrennte Gehirne zu verfügen – Gehirne, die oft miteinander in Konflikt geraten.

Patienten berichteten beispielsweise, dass sie ihre Kleidung mit einer Hand zuknöpften und sie mit der anderen Hand spontan wieder aufknöpften oder dass sie mit einer Hand Artikel in einen Einkaufswagen legten und sie mit der anderen wieder ins Regal zurücklegten. Viele Patienten sind sogar in der Lage, mit beiden Händen gleichzeitig zwei verschiedene Bilder zu zeichnen. Allerdings ist die linke Hand bei dieser Aufgabe normalerweise der rechten überlegen, da die rechte Hemisphäre beim räumlichen Denken im Vorteil ist.

Alien-Hand-Syndrom in „Dr. Seltsam“: Die linke und die rechte Gehirnhälfte bekämpfen sich, und die linke Hand kann die rechte Hand nicht dazu bringen, den Nazigruß zu machen. © Pinterest

In seltenen Fällen kann sich dieses Phänomen sogar als „Alien-Hand-Syndrom“ äußern, bei dem eine Hand des Patienten einen eigenen Willen zu haben scheint und manchmal sogar versucht, den Patienten oder andere zu erwürgen. Das Phänomen wird manchmal als Dr. Seltsam-Syndrom bezeichnet, benannt nach der Figur Peter Sellers in Stanley Kubricks Film von 1964, der ähnliche Symptome zeigte.

Leider gibt es für diese Erkrankung keine Heilung, außer die „störende Hand“ mit anderen Aufgaben zu beschäftigen oder ihre Aktivität nachts einzuschränken, um Verletzungen vorzubeugen. Sperry fasste seine Erkenntnisse 1974 in einer bahnbrechenden Arbeit zusammen, für die er 1981 schließlich den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin erhielt. Er schloss:

„… [jede Hemisphäre] ist tatsächlich ein separates Bewusstseinssystem, das hinsichtlich Wahrnehmung, Denken, Gedächtnis, Argumentation, Willen und Emotion auf einer spezifisch menschlichen Ebene funktioniert… Die linke und die rechte Hemisphäre können sich gleichzeitig unterschiedlicher, sogar widersprüchlicher psychologischer Erfahrungen bewusst sein, die parallel ablaufen.“

Insbesondere kam Sperry zu dem Schluss, dass die linke Hemisphäre auf Logik, Sequenzierung, lineares Denken, Mathematik, harte Fakten und wörtliches Denken spezialisiert ist. Im Gegensatz dazu ist die rechte Hemisphäre für „weichere“ Aufgaben zuständig, wie etwa Vorstellungskraft, ganzheitliches Denken, Intuition, visuell-räumliche Verarbeitung, Gesichtserkennung und die Interpretation nonverbaler sozialer Signale. Tatsächlich ist diese Lateralisierung des mathematischen Denkens Sperrys Experimenten zufolge nahezu vollständig:

Mathematische Tests des subhemisphärischen Bereichs anhand nonverbaler Signale und der Beschränkung sensorischer Eingaben auf das linke Gesichtsfeld oder die linke Hand zeigten, dass die subhemisphärische Rechenleistung vernachlässigbar war. Durch das Manipulieren von Murmeln oder Stöcken, das Beobachten blinkender Lichter im linken Gesichtsfeld und das Zeigen mit der linken Hand gelang es den Patienten mit Split-Brain-Syndrom, Zahlen zuzuordnen oder eine Ziffer zu einer Zahl unter 10 zu addieren. Sie scheiterten jedoch beim Addieren oder Subtrahieren zweier oder mehrerer Zahlen sowie bei den einfachsten Rechenoperationen wie Multiplikation und Division.

Später stellte Sperry fest, dass die rechte Hemisphäre tatsächlich Additionsoperationen kleiner als 20 durchführen konnte – die einzige Ausnahme von der völligen Dominanz der linken Hemisphäre über das mathematische Denken.

© Vinmec

Spätere Beobachtungen schienen Sperrys Erkenntnisse zu bestätigen und Neurologen kamen zu dem Schluss, dass primäre Akalkulie, die Unfähigkeit, mathematische Berechnungen zu verstehen und durchzuführen, nur dann auftritt, wenn der linke Parietallappen des Gehirns geschädigt ist.[3] Im Gegensatz dazu beeinträchtigt die sekundäre Akalkulie , die durch eine Schädigung der rechten Hemisphäre verursacht wird, die Fähigkeit des Gehirns, mathematische Informationen über die Sinne aufzunehmen oder diese Informationen sprachlich auszudrücken, beeinträchtigt jedoch nicht die grundlegende Fähigkeit des Gehirns, diese Informationen zu verstehen und zu verarbeiten. Weniger invasive Studien haben die Lateralisierung des Gehirns bei bestimmten Aufgaben zusätzlich bestätigt.

Im Jahr 1973 baten Dr. Robert Ornstein und Dr. David Galin vom Langley Porter Neuropsychiatric Institute in San Francisco die Versuchspersonen, eine Reihe kognitiver Aufgaben auszuführen, während ein Elektroenzephalogramm (EEG) die Aktivität in ihren jeweiligen Hemisphären überwachte.[4] Als die Versuchspersonen Kopfrechnen, das Schreiben eines Briefes oder Sprachübungen durchführen sollten (wie etwa Verben aufzählen, die mit dem Buchstaben R beginnen), produzierte die linke Gehirnhälfte der Versuchspersonen schnelle Gehirnwellen, die auf Aufmerksamkeit und Aktivität hindeuten, während die rechte Gehirnhälfte niederfrequente Alphawellen produzierte, die auf Entspannung hindeuten. Dies lässt darauf schließen, dass die rechte Gehirnhälfte während dieser Aufgaben im Wesentlichen abgeschaltet war. Als die Versuchspersonen jedoch aufgefordert wurden, ein Puzzle mit farbigen Blöcken zu vervollständigen, sich die Abfolge von Musiknoten zu merken oder auf einem Skizzenblock zu zeichnen, war das Gegenteil der Fall: In der rechten Hemisphäre wurden schnelle Gehirnwellen und in der linken Hemisphäre Alphawellen erzeugt. Ornstein und Garin kommen zu dem Schluss:

„Unserer Ansicht nach wechseln wir bei den meisten alltäglichen Aktivitäten lediglich zwischen verschiedenen kognitiven Modi, anstatt sie miteinander zu integrieren. Diese Modi ergänzen sich gegenseitig, können sich aber nicht gegenseitig ersetzen.“

Doch trotz Sperrys Warnung:

„… die Idee einer experimentellen Polarität von Rechts-Links-Kognitionsstilen lässt sich sehr leicht verallgemeinern.

…aber es war zu spät. In einem 1973 im New York Times Magazine erschienenen Artikel über die Experimente von Ornstein und Galin[5] schlugen die beiden Wissenschaftler vor, dass die Talente und Fähigkeiten verschiedener Menschen davon geprägt seien, welche Seite ihrer Gehirnhälfte dominant sei:

„Idealerweise sollten wir in der Lage sein, je nach Aufgabe die rechte Hemisphäre zu aktivieren und die andere Hemisphäre abzuschalten. Doch in der Realität gelingt uns das nicht immer. „Bei vielen Menschen dominiert der eine oder der andere Modus“, betont Dr. Ornstein. „Sie haben entweder Schwierigkeiten mit Handwerk und körperlichen Bewegungen oder sie haben Schwierigkeiten bei der Sprachverarbeitung.“ Kultur hat offensichtlich einen großen Einfluss darauf. Kinder aus armen schwarzen Gemeinden nutzen oft ihre rechte Gehirnhälfte stärker – sie schneiden beispielsweise bei Mustererkennungstests unvollständiger Figuren besser ab als Weiße, schneiden aber bei Sprachaufgaben schlechter ab. Andere Kinder, die gelernt haben, alles zu verbalisieren, empfinden diesen Ansatz als hinderlich, wenn es darum geht, einen Tennisaufschlag nachzuahmen oder Tanzschritte zu lernen. Die Analyse dieser Bewegungen mit Worten bremst sie nur aus und beeinträchtigt das direkte Lernen über die rechte Gehirnhälfte.

„Wir sind nicht so flexibel, wie wir sein sollten“, sagt Ornstein. „Wir bilden uns ein, wir hätten mehr Kontrolle, als wir tatsächlich haben.“ Viele Menschen scheinen schon früh im Leben entweder zu einem „linkshemisphärischen Typ“ geformt zu werden, der vorwiegend in der verbalen Welt agiert, oder zu einem „rechtshemisphärischen Typ“, der sich mehr auf nonverbale Äußerungen verlässt. Dies sind zwei grundsätzlich unterschiedliche Sichtweisen auf die Welt. „

In dem Artikel heißt es weiter:

Dr. Ornstein und Dr. Garin glauben, dass eine zu ausgeprägte, gewohnheitsmäßige Nutzung derselben Gehirnhälfte die Persönlichkeit eines Menschen einschränken kann. Die beiden Forscher arbeiten derzeit an einem Test, der ihnen helfen könnte, herauszufinden, für welche Gehirnhälfte ein Mensch eine chronische Präferenz hat und ob diese Gewohnheit ihn daran hindert, die Dominanz bei Bedarf auf die andere Seite zu verlagern. Sie planen, den Test an wirklich spezialisierten Menschen wie Ralph Nader (einem linkshemisphärischen Typ ohne Hobbys oder Interessen) sowie an rechtshirndominanten Keramikern, Tänzern und Bildhauern (vorzugsweise solchen mit Sprachschwierigkeiten) zu testen. Sie erwarten signifikante Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. Damit erhalten sie ein Werkzeug, um Kinder und Erwachsene dabei zu unterstützen, neue Aspekte ihrer selbst zu entdecken und sich für Erfahrungen zu öffnen.

So entstand ein bleibender Mythos der Poppsychologie und Publikationen wie das Time Magazine, die Harvard Business Review und Psychology Today sprangen bald auf den „Linke Gehirnhälfte/Rechte Gehirnhälfte“-Zug auf. Die Theorie wurde 1979 von Betty Edwards in ihrem Buch „Drawing on the Right Side of the Brain“ weiter populär gemacht. In dem Buch schlägt der Autor verschiedene Techniken vor, die Menschen dabei helfen sollen, die „analytische“ linke Gehirnhälfte zu umgehen und der visuellen Kreativität Raum zu geben. Heute hat die Linkshirn-/Rechtshirn-Theorie eine Fülle von Online-Tests, Seminaren und anderen Materialien hervorgebracht, die den Menschen dabei helfen sollen, herauszufinden, welche Seite des Gehirns dominant ist, ihr Potenzial zu maximieren oder sogar die nicht-dominante Seite des Gehirns zu stärken. Diese Vorstellung hat sich sogar in der Geschäftswelt durchgesetzt, wo einige Unternehmen versuchen, rechtshirnige Mitarbeiter für kreativere Aufgaben und linkshirnige Mitarbeiter für Führungspositionen einzustellen. Doch wie so oft bei der Erforschung des menschlichen Geistes sind die Dinge bei weitem nicht so einfach, wie die Pop-Psychologie uns glauben machen möchte.

© Cornell Universität

Obwohl die Erkenntnisse von Sperry, Ornstein und anderen darauf hinzudeuten schienen, dass die rechte Hemisphäre beim mathematischen Denken und der Sprachverarbeitung nur eine geringe Rolle spielt, ist dies tatsächlich nicht der Fall. Sperry stellte fest, dass die rechte Hemisphäre auch bei sogenannten linkshirnigen Aufgaben eine aktive Rolle spielte. Als ein Patient beispielsweise durch sein linkes Auge ein Bild seiner Freundin sah, konnte er ihren Namen mit Scrabble-Buchstaben buchstabieren, obwohl er ihren Namen nicht aussprechen konnte. Sie stellten außerdem fest, dass die linke Gehirnhälfte zwar bei einfachen Wortassoziationen besonders gut ist, die rechte Gehirnhälfte jedoch subtilere Zusammenhänge und Hinweise besser erkennen kann.

Wenn die linke Gehirnhälfte beispielsweise das Wort „Fuß“ sieht, kann sie verwandte Wörter wie „Ferse“ besser aus einer Liste von Wörtern heraussuchen. Wenn die rechte Gehirnhälfte jedoch zwei zusätzliche Wörter sieht, „weinen“ und „Glas“, fällt es ihr leichter, das Verbindungswort herauszufinden – in diesem Fall „schneiden“. Auch beim mathematischen Denken spielt die rechte Gehirnhälfte eine größere Rolle als erwartet. Kara Federmeier, Psychologieprofessorin an der University of Illinois, erklärt:

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns zunächst darauf einigen, was wir unter „Logik“ und „Kreativität“ verstehen. Betrachten wir daher ein (relativ) eindeutigeres Beispiel: mathematische Fähigkeiten, die oft als der „logische“ linke Gehirnteil angesehen werden.

Es gibt viele Arten mathematischer Fähigkeiten, von der Fähigkeit abzuschätzen, welche von zwei Mengen mehr Elemente enthält, über das Zählen bis hin zu verschiedenen Arten von Berechnungen. Untersuchungen legen nahe, dass mathematische Fähigkeiten im Allgemeinen auf der Verarbeitung in beiden Hemisphären beruhen (insbesondere in einer Gehirnregion in jeder Hemisphäre, die als intraparietaler Sulcus bezeichnet wird) und dass Schäden in einer der beiden Hemisphären zu Schwierigkeiten in Mathematik führen können. Der Vorteil der linken Gehirnhälfte in der Mathematik zeigt sich vor allem bei Aufgaben wie dem Zählen und dem Auswendiglernen des Einmaleins, bei denen es auf vielen auswendig gelernten verbalen Informationen ankommt (und dies ist daher nicht ganz mit dem vereinbar, was wir normalerweise unter „Logik“ verstehen!). Auch bei manchen mathematischen Aufgaben ist die rechte Gehirnhälfte im Vorteil, insbesondere bei der Schätzung der Anzahl von Objekten. Dieses Muster, bei dem beide Gehirnhälften einen entscheidenden Beitrag zu den meisten kognitiven Fähigkeiten leisten, ist universell. Um logisch oder kreativ zu sein, ist die Arbeit beider Hemisphären erforderlich. „

Tatsächlich erwarten wir gemäß der landläufigen Meinung über die Arbeitsteilung zwischen der linken und rechten Gehirnhälfte, dass Menschen mit einer Schädigung der rechten Gehirnhälfte zu gefühllosen, aber hyperrationalen Berechnungs- und Entscheidungsmaschinen werden, wie die Vulkanier in Star Trek. In Wirklichkeit haben diese Menschen jedoch selbst bei grundlegenden Entscheidungen oder Plänen Schwierigkeiten, da ihnen die intuitiven und emotionalen Fähigkeiten fehlen, um sich einen Überblick über das große Ganze zu verschaffen und Logik in praktische Handlungen umzusetzen. Logik und Emotion sind nicht so gegensätzlich, wie die Leute oft glauben. beides ist notwendig, um in der realen Welt effektiv zu funktionieren. Neuere Studien[6] legen nahe, dass viele kognitive Funktionen tatsächlich gleichmäßig auf die beiden Hemisphären verteilt sind, darunter die Verarbeitung visueller und auditiver Reize, räumliche Manipulation, Gesichtserkennung, künstlerische Fähigkeiten, Zahlenschätzung und Vergleich. Sogar die von Broca, Wernicke und anderen festgestellte Linkslateralisierung der zentralen Sprachfähigkeiten ist nicht immer korrekt. Während sich beispielsweise die Broca- und Wernicke-Areale typischerweise in der linken Hemisphäre befinden, liegen sie bei 5 % der Rechtshänder und 30 % der Linkshänder in der rechten Hemisphäre (denken Sie daran, dass ihre dominante Hand von der anderen Hemisphäre gesteuert wird) [7]. Tatsächlich ist die Lateralisierung verschiedener kognitiver Funktionen von Mensch zu Mensch so unterschiedlich, dass Neurochirurgen vor invasiven Gehirnoperationen wie der Entfernung eines Tumors häufig spezielle Tests durchführen, um diese kognitiven Stellen genau zu bestimmen. Bei diesem Test, der als intrakarotischer Natriumpentobarbital- oder Wada-Milner-Test[8] bekannt ist, wird ein Barbiturat-Sedativum in die eine oder andere Hemisphäre injiziert, um es zu neutralisieren, und der Patient wird gebeten, verschiedene kognitive Aufgaben auszuführen.

Williams Gehirn entwickelte sich im Mutterleib abnormal. Nach seiner Geburt am 12. Juli 2005 litt er täglich unter bis zu 80 Anfällen und Krämpfen, und seine Eltern entschieden sich für eine radikale Hemisphärektomie. Vor der Operation warnten ihn die Ärzte, dass er dadurch möglicherweise seine Gehfähigkeit verlieren könnte. Doch acht Jahre nach der Operation kann der Viertklässler nicht nur laufen, sondern auch schießen und Tore erzielen. © Indianapolis Monthly

Die vorherrschende Vorstellung einer Lateralisierung des Gehirns kann auch das „Phänomen der Neuroplastizität“ nicht erklären – die erstaunliche Fähigkeit des Gehirns, sich an körperliche Belastungen anzupassen. Kinder, denen aufgrund einer Krebserkrankung oder einer anderen Erkrankung eine ganze Gehirnhälfte entfernt wurde, können dennoch ein völlig normales Leben führen, da sich das Gehirn so umorganisiert, dass die verbleibende Hemisphäre zur Ausführung aller notwendigen Funktionen genutzt werden kann.[9] Diese Art der Neuroplastizität wurde, wenn auch in geringerem Ausmaß, auch bei Erwachsenen beobachtet, die sich ähnlichen Operationen unterzogen oder traumatische Hirnverletzungen erlitten hatten. Okay, das Gehirn ist also viel komplexer, als die Popkultur uns glauben machen will, und seine Funktionen sind gleichmäßiger verteilt, als wir erwartet haben. Aber es ist doch sicher so, dass verschiedene Menschen die eine Seite ihres Gehirns der anderen vorziehen, oder? Denn wie lässt sich erklären, dass manche Menschen eher logisch und analytisch denken, während andere eher kreativ und künstlerisch sind? Leider wird diese Idee von der Wissenschaft nicht unterstützt. Im Jahr 2013 führten Jared Nielsen und Kollegen an der University of Utah eine Studie durch[10], in der die neuronale Aktivität von 1.011 Personen im Alter von 7 bis 29 Jahren analysiert wurde, während diese mithilfe eines Geräts zur funktionellen Konnektivitäts-Magnetresonanztomographie im Ruhezustand (RS-FCM-MRI) verschiedene kognitive Aufgaben durchführten. Die Studie ergab Folgendes:

Neun linkslateralisierte und elf rechtslateralisierte Knotenpunkte wurden … [als] signifikant lateralisierte Verbindungen identifiziert. Linkslateralisierte Knotenpunkte umfassten Regionen des Ruhezustandsnetzwerks … während rechtslateralisierte Knotenpunkte Regionen des Aufmerksamkeitskontrollnetzwerks umfassten … Links- und rechtslateralisierte Knotenpunkte bildeten zwei trennbare Gruppen wechselseitig lateralisierter regionaler Netzwerke. Verbindungen, die ausschließlich links- oder rechtslateralisierte Knotenpunkte umfassten, zeigten positive Korrelationen zwischen den Probanden, allerdings nur für Verbindungen mit gemeinsamen Knotenpunkten. Die Lateralisierung der Gehirnkonnektivität scheint eher eine lokale als eine globale Eigenschaft des Gehirnnetzwerks zu sein, und unsere Daten sind nicht konsistent mit globalen Gehirnphänotypen einer stärkeren links- oder rechtshirnigen Netzwerkstärke bei verschiedenen Individuen. Es gab einen leichten Anstieg der Lateralisierung mit dem Alter, es wurden jedoch keine Geschlechtsunterschiede beobachtet … [Wir fanden außerdem heraus], dass lateralisierte Verbindungen zwischen den Individuen unabhängig voneinander waren und die meiste funktionelle Lateralisierung vor dem siebten Lebensjahr auftrat.“

Mit anderen Worten: Auch wenn die Lokalisierung verschiedener kognitiver Funktionen von Mensch zu Mensch unterschiedlich ist, ist insgesamt keine Hemisphäre in nennenswertem Maße dominant. Tatsächlich entstehen viele Fähigkeiten und Talente nicht durch mehr Arbeit in einer Hemisphäre, sondern durch eine effektivere Zusammenarbeit zwischen den beiden Hemisphären. Beispielsweise neigen Kinder, die als mathematisch oder musikalisch begabt gelten, zu einer besseren Kommunikation zwischen den beiden Gehirnhälften, was es ihnen ermöglicht, logisch-analytische und kreativ-intuitive Fähigkeiten effektiver zu kombinieren. Umgekehrt liegt es nicht unbedingt daran, dass Menschen, die mit bestimmten Aufgaben Schwierigkeiten haben, eine schwächere Gehirnhälfte haben, sondern oft daran, dass sich eine Gehirnhälfte so entwickelt hat, dass sie Aufgaben übernimmt, die normalerweise von der anderen Gehirnhälfte erledigt werden. Wie bei fast allen kognitiven Aufgaben können auch die schwächsten Fähigkeiten durch Übung schrittweise gestärkt werden.

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Obwohl diese Theorie seit über 50 Jahren durch Forschung widerlegt wird, glauben schätzungsweise 68 % der Menschen immer noch an den Mythos von der linken und rechten Gehirnhälfte. Warum ist das so? Die Antwort ist einfach: weil wir Menschen gerne über uns selbst nachdenken und uns alle möglichen Systeme ausdenken, um uns selbst und andere in klare Kategorien einzuteilen. Wie Horoskope und viele Persönlichkeitstests nutzen auch Tests zur Bestimmung der Links- oder Rechtshirndominanz ein psychologisches Phänomen, das als Barnum-Effekt bekannt ist : die Tendenz von Menschen, Beschreibungen zu glauben, die scheinbar speziell auf sie zugeschnitten sind, in Wirklichkeit aber so vage sind, dass sie auf jeden zutreffen. Dieser Effekt wird häufig von Astrologen, Hellsehern und anderen Betrügern ausgenutzt. Das bekannteste Beispiel hierfür ist der Bühnenmagier und paranormale Entschlüsseler James Randi, der einer Gruppe von Studenten personalisierte Horoskope gab und sie bat, die Genauigkeit der Beschreibungen zu bewerten. Fast ausnahmslos fanden die Studenten die Horoskope sehr genau. Randy bat die Schüler dann, ihre Horoskope auszutauschen. Da stellten sie fest, dass sie tatsächlich dasselbe erhalten hatten!

© Sam Brinson

Der Trugschluss von der linken und rechten Gehirnhälfte bestätigt und liefert eine plausible Erklärung für unsere alltägliche Beobachtung, dass manche Menschen logischer und analytischer zu sein scheinen, während andere kreativer und intuitiver sind. Es ermöglicht uns auch, Ausreden für unsere eigenen Unzulänglichkeiten zu finden: Ich bin nicht gut in Mathe, das ist nicht meine Schuld, verstehen Sie, ich bin mit einer rechtshirnigen Gehirnhälfte geboren! Doch in Wirklichkeit werden unsere kognitiven Fähigkeiten von vielen Faktoren beeinflusst, darunter Gene, Erziehung, Denkweise sowie Ausbildung und Bildung – und keiner davon lässt sich einfach darauf zurückführen, ob wir „rechtshirnig“ oder „linkshirnig“ sind. Auch wenn die Lateralisierung kognitiver Funktionen möglicherweise keinen signifikanten Einfluss auf unsere Persönlichkeit oder angeborenen Fähigkeiten hat, hat sie dennoch einen tiefgreifenden Einfluss auf die Funktionsweise des Gehirns. Obwohl beispielsweise Informationen, die von jeder Hemisphäre empfangen und verarbeitet werden, normalerweise über das Corpus Callosum mit der anderen Hemisphäre geteilt werden, ist dieser Austausch nicht immer möglich. Wie der Psychologe La Federme erklärt:

Die Verarbeitung in jeder Hemisphäre basiert auf einem reichhaltigen, dichten Netzwerk von Verbindungen. Das Corpus callosum, das die beiden Hemisphären verbindet, ist zwar groß genug für Faserbündel, aber im Vergleich zum Netzwerk der Verbindungen innerhalb jeder Hemisphäre sehr klein. Daher erscheint es physikalisch nicht möglich, dass die beiden Hemisphären Informationen vollständig austauschen oder vollständig einheitlich arbeiten. In vielen Fällen ist es sogar sinnvoller, jede Hemisphäre unabhängig arbeiten zu lassen. Es scheint eine gute Strategie für das Gehirn zu sein, die Aufgaben zu trennen und die beiden Hemisphären unabhängig voneinander arbeiten zu lassen und dasselbe Problem auf unterschiedliche Weise zu verarbeiten.

Eine meiner Lieblingserkenntnisse stammt aus einem Experiment, bei dem wir Adjektive verwendeten, um die Bedeutung desselben Nomens zu ändern. Beispielsweise bezieht sich das Wort „grünes Buch“ auf eine konkrete Sache, also etwas, das man sich leicht vorstellen kann. Allerdings denken die Leute bei „interessantes Buch“ normalerweise eher an den Inhalt des Buches als an seine physische Form, sodass das gleiche Wort „abstrakter“ wird.

Wir wollten sehen, ob bei genau denselben Wörtern Unterschiede in der Konkretheit auftreten und ob beide Hemisphären gleichermaßen von der Konkretheit betroffen sind. In diesem Experiment haben wir festgestellt, dass … die linke Hemisphäre sehr empfindlich auf die Vorhersagbarkeit von Wortkombinationen reagiert. Es gibt weitaus weniger Substantive, die zu „grün“ passen als zu „interessant“, und die Gehirnaktivität spiegelt dies wider, wenn diese Wörter zuerst der linken Hemisphäre präsentiert werden.

Zu unserer Überraschung zeigte die rechte Hemisphäre jedoch beim „grünen Buch“ mehr bildbezogene Gehirnaktivität als beim „interessanten Buch“. Während die linke Gehirnhälfte bei der Sprachverarbeitung eindeutig eine große Rolle spielt, spielt die rechte Gehirnhälfte möglicherweise eine besondere Rolle bei der Schaffung der reichen Sinneserfahrung, die mit dem Sprachverständnis einhergeht … und die das Lesen so angenehm macht. „

Mit anderen Worten: Auch wenn unser Corpus callosum intakt ist, kann sich das Gehirn manchmal immer noch wie zwei getrennte Einheiten verhalten – genau wie bei Sperrys Split-Brain-Patienten. Noch seltsamer ist die Tatsache, dass dieser Zustand des „zweifachen Bewusstseins“ bis vor relativ kurzer Zeit in der Menschheitsgeschichte möglicherweise wörtlich gemeint war.

„The Collapse of the Bipartite Mind and the Origins of Consciousness“ gilt als eines der Lieblingsbücher von David Bowie. © Der Bowie Buchclub

In seinem 1976 erschienenen Buch „The Origin of Consciousness in the Breakdown of the Bicameral Mind“ (Der Ursprung des Bewusstseins beim Zusammenbruch des bikameralen Geistes) stellte der Psychologe Julian Jaynes von der Yale University die These auf, dass der normale menschliche Geist in der Form eines „zweikammerigen Geistes“ in der vorbronzezeitlichen Mittelmeerregion vor etwa 3.000 Jahren existierte. Die beiden Hemisphären arbeiten als getrennte Einheiten, wobei die „dominante“ linke Gehirnhälfte Ideen generiert und sie an die „sklavische“ rechte Gehirnhälfte weiterleitet, die diese Anweisungen befolgt und ausführt.

© Wissenschaft | WieStuffWorks

Laut Jaynes erklärt dieser gegabelte Geist die Zuschreibung von Gedanken und Inspirationen des alten Menschen für die Musen oder Götter. Da sie nicht erkennen können, dass diese Gedanken aus ihrem eigenen Gehirn stammen, erleben sie diese Gedanken als auditorische Halluzinationen und schreiben ihren Ursprung auf externe - üblich übernatürliche - zu touren. Die Erfahrung ähnelt der von Menschen mit Schizophrenie, die intern die Gedanken als auditorische Halluzinationen präsentieren. In der Tat sind Schizophrenie, Autismus und viele Stimmungsstörungen (einschließlich Depressionen und bipolare Störungen) mit signifikanten asymmetrischen Veränderungen der kognitiven Funktion verbunden [11] [12]. Zum Beispiel ist die linke Gehirnhälfte mehr mit positiven Emotionen verbunden, während die rechte Gehirnhälfte mehr mit negativen Emotionen verbunden ist. Menschen mit Depressionen haben oft eine übermäßige Aktivität der linken Gehirnhälfte. Schizophrenie ist mit einer verringerten Aktivitätssymmetrie in den beiden Hemisphären verbunden.

© STLPR

Jaynes 'Theorie bedeutet jedoch nicht, dass das menschliche Gehirn jemals physisch gespalten wurde. Die neuronale Architektur der alten Menschen war genau das gleiche wie unsere - einschließlich Strukturen wie dem Corpus callosum. Die mentalen Schemata der Alten ermöglichten es ihnen, auf Situationen zu reagieren, Gedanken zu erzeugen und Handeln ohne die introspektive Fähigkeit zu ergreifen, über diese Gedanken nachzudenken und ihre inneren Ursprünge zu verstehen. Mit anderen Worten, Menschen fehlt das Meta-Bewusstsein oder Selbstbewusstsein. Jaynes argumentiert, dass dieses psychologische Modell ein Produkt der einfacheren Gruppenlebensbedingungen des alten Menschen ist, die keinen introspektiven, einheitlichen Geist erfordern, um zu funktionieren. Erst als Menschen in komplexeren Gesellschaften wie Stadtstaaten zu leben und zu schreiben begannen, begannen die beiden Hälften des Gehirns zu verschmelzen und das einheitliche, introspektive Bewusstsein zu bilden, das wir heute kennen. Aufbauend auf Jaynes 'Theorie gingen der britische Psychopathologe und Philosoph Iain McGilchrist noch einen Schritt weiter und argumentierten, dass die Vereinigung und Lateralisierung des Gehirns in eine Richtung zu verzerrt geworden ist - und dies hat einen großen negativen Einfluss auf die moderne westliche Gesellschaft hatte.

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In seinem 2009er Buch The Meister und seinem Abgesandten: Das geteilte Gehirn und die Herstellung der westlichen Welt argumentiert McGilchist, dass nicht nur die beiden Hemisphären unterschiedlich funktionieren, sondern auch die Welt unterschiedlich sehen und unterschiedliche Ethik und Werte fördern. Zum Beispiel neigt die linke Gehirnhälfte dazu, komplexe, subtile Themen wie Ethik auf einfache Regeln und Standards zu reduzieren, während die richtige Gehirnhälfte die Welt als miteinander verbundenes System ganzheitlicher betrachten kann. McGilchist weist darauf hin, dass die westliche Zivilisation seit dem alten Griechenland zunehmend vom Denken des linken Gehirns dominiert wird, das eine enge, reduktionistische Sicht auf das Universum fördert, die zu vielen unserer modernen globalen Probleme geführt hat. Obwohl die Ideen von Jaynes und McGilchist einflussreich und beliebt waren, zogen sie auch erhebliche Kritik an, wobei viele Neurologen, Philosophen und Historiker argumentierten, dass diese Theorien wie die Idee der linken Hirntum und der rechten Gehirnhälfte die Idee der Poppsychologie, die komplexe und subtile Realität der Gehirnlateralisierung und basieren auf unzulässigen historischen Evidenz, und verzerren. Sicher ist jedoch, dass das menschliche Gehirn, wie der schottische Biologe JBS Haldane argumentiert hat, nicht nur seltsamer ist, als wir denken, sondern wahrscheinlich auch seltsamer ist, als wir uns vorstellen können.

Quellen:

[1] PubMed.ncbi.nlm.nih.gov/3530216/ [2] www.jstor.org/stable/24926082 [3] www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/pmc6476153/ [4] Www.scicic./Science/. 932749.
[7] www.nature.com/scitable/blog/student-voices/leftHand_man/ [8] www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/pmc8117406/
[9] www.indianapolismonthly.com/longform/boy-with-brain-william-buttars/ [10] PubMed.ncbi.nlm.nih.gov/23. nih.gov/pmc/articles/pmc8931527/

Von Gilles Messier

Übersetzt von Tim

Korrekturlesen/tamiya2

Originaltext/www.todayifoundout.com/index.php/2024/09/sind people-actuell-right-or-left-brainer/

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